Freitag, 17. August 2018

Bis zur Road of Bones


Den freien Tag in Jakutsk verbringen wir hauptsächlich mit Fahrzeugpflege. Steff hat sich mit einem lokalen Mechaniker einen Termin ausgemacht um die leckende Gabel, den schreienden Auspuff in Ordnung zu bringen und neue Reifen aufzuziehen. Am Abend treffen wir noch Hannes (D), Gary und Dave (UK) welche vor kurzem die Road of Bones gemeinsam durchfahren haben. Horrorgeschichten von Monsterbären,  Erdrutschen und Flussdurchquerungen haben ihnen 2,5 schlaflose Tage eingebracht und unsere Vorfreude angespornt! An einem Tag konnten sie aufgrund von Hindernissen nur 28 km fahren, zu dem Zeitpunkt wussten wir noch nicht, dass wir das toppen können...

Steffs KTM in der Reparaturhölle



Die Bikes sind ready for the road of bones!

Lustiges Detail am Rande: Obwohl Jakutsk kein Musterknabe an Reinlichkeit ist und in Trockenzeiten der Staub durch die Straßen fegt, legt unsere Gastgeberin besonders viel Wert auf Sauberkeit - wir dürfen das Haus nicht mit Schuhen betreten, sondern müssen sie im Vorsaal ausziehen und dürfen uns nur mit Socken bzw. blauen Überziehern fortbewegen.

Jakutsk - die Hauptstadt der Region Jakutien - liegt bereits im "Kältekreis" und im Winter können es hier schon mal schnell -50 (!) °C werden!

Der Tag an dem wir aufbrechen empfängt uns mit Regen. In der Stadt steht das Wasser auf den Straßen und jedes Fahrzeug spritzt Fontainen von Wasser hoch. Die Kettenpflege am Vortag hätten wir uns sparen können.  Wir setzen in 1,5 Stunden wieder über die Lena über (stromaufwärts) und aufgrund des schneidenden Windes lässt der Matrose uns im Vormaschinenraum aufwärmen.
Nach ca. 10 km Asphalt auf der anderen Seite hört der Spaß auf bzw. fängt an: die Straße ist total aufgeweicht und der ehemals fest(gefahren)e Untergrund wird zur Rutschbahn. Wir rutschen wie auf Seife hin und her, den Autos geht es genauso und sie kommen uns manchmal verdammt nah. Der Lehm klebt an unseren Reifen, so dass das Profil verschwindet. Unweigerlich führt das auch ab und zu zum Sturz in Slowmotion. Verletzt wird niemand, höchste Konzentration gefragt. Irgendwann kommen wir darauf, dass wir diese Passage besonders schnell fahren müssen, denn durch die entstehenden Kreiselkräfte am Rad wird der Schlamm wieder ins Nirvana geschleudert und unser Profil fängt wieder zu greifen an. Also auf die Lippe gebissen, sich hingestellt und kräftig am Gashahn gezogen und nach anfänglicher Eierei stabilsiert sich die Fuhre und nach einer Weile fängt es an richtig Spaß zu machen!

Schlammschlacht I

Schlammschlacht II



Schlammschlacht III
Erstes Schild mit unserem Endziel: Magadan 1834 km



Da wir nur recht langsam vorankommen müssen wir uns rechtzeitig um eine Unterkunft kümmern. Weiter als Churapcha kommen wir nicht, als nicht geplanter Zwischenstopp haben wir auch keine Unterkunft vorab kontaktiert. In unseren Karten sind zwei Hotels bzw. Gostinitzas eingezeichnet, wie sich herausstellt muss der Business schon eine ganze Weile zurück liegen - beide Häuser liegen verlassen da. Wenn wir Einheimische fragen werden wir von einer Ecke in die andere geschickt. Es fängt an zu dunkeln und die Nerven sind bereits strapaziert, wir sind kurz davor im Regen campen zu gehen. Da hat das Schicksal doch noch eine Überraschung parat und schickt uns Deni mit seinem Bruder. Der junge Kerl will uns helfen und führt einige Telefonat, fährt wieder weg und kommt wieder. Um es kurz zu machen, wir landen am Ende bei ihm zuhause wo er mit seiner Mutter, Bruder, Frau und zwei Kindern lebt. Sie haben ein Bett, einen Schlafsessel und eine Schlafcouch hergerichtet - perfekt. Wir sind fasziniert von der Einfachheit (im positiven Sinne) und Gastfreundlichkeit. Wir bekommen ein einfaches Abendessen und Frühstück vorgesetzt, aber es es schmeckt und wir werden alle satt. Am nächsten Tag dürfen wir sogar noch unsere zweirädrigen Freunde mit dem Hochdruckstrahler reinigen. Der Besuch war wieder ein tolles Erlebnis!
Einen Wermutstropfen gibt es aber noch: am Abend hatte Steffs Kati mit Kupplungsproblemen zu kämpfen...


Deni mit Bruder und Kindern vor seinem Haus

Die folgenden Tage werden entscheidend für die Reise. Aufgrund der zunehmenden Kupplungsprobleme an Steffs Motorrad entscheiden wir, dass er nicht die Road of Bones fahren wird, sondern auf der "neuen" Umgehungsstraße in Begleitung unserer neuen AfricaTwin-Freunde (Pjotr + Natascha aus Wladiwostok, George aus Jakutsk) fahren wird. Diese Entscheidung stellt sich später als goldrichtig heraus, obwohl es sehr schade ist, dass für Steff dieses Mal dieser Traum unerfüllt bleibt.


Auf dieser Fähre lernen wir die AfricaTwin-Fahrer kennen.

Tanken wird immer archaischer je östlicher wir kommen.

Gemeinsames Zelten mit Pjotr, Natascha und George

Der erste Tag zu dritt soll zur ersten Prüfung werden. Wir durchfahren ein herrliches Tal als uns jäh ein Stau stoppt! Stau? Hier?? Hier fährt doch kaum ein Auto! Als wir uns vorbeischlängeln sehen wir die Ursache: ein LKW hat sich komplett über die Straße verkeilt. Da wir noch einiges an Strecke vor uns haben fackeln wir nicht lange: im nebenliegenden Flussbett fährt Chris am LKW vorbei, wir folgen. 

Verunfallter LKW

Jetzt entstehen zwei separate Geschichten:
1. Chris kommt hinter dem LKW wieder auf die Straße, dass scheint einem Trucker überhaupt nicht zu gefallen und er fällt Chris an, was sich an wildem Rütteln an seinem Bike äußert und als Krönung mit einem Steinwurf auf Chris endet! Zum Glück hat er einen Helm auf, den der wird ziemlich zerstört bei der Aktion. Verrückter alkoholisierter Trucker! Und so etwas fährt im Straßenverkehr riesige LKWS spazieren!!!
2. Paul und ich bleiben im Flussbett hängen. Pauls Kette ist heruntergesprungen und es geht keinen Meter vor noch rückwärts. Im Fluss wursteln wir die Kette wieder drauf, dass dauert so lange, dass in der Zwischenzeit der querstehende LKW wieder in Fahrtrichtung gebracht wird und sich das Hindernis und damit der Stau auflöst. Wir entscheiden umzudrehen und aus dem Fluss so herauszufahren wie wir herausgekommen sind. Auf der Straße angekommen bemerken wir, dass Pauls Teneré Öl verliert. Die losgelöste Kette hat ein Stück vom Motorgehäuse herausgeschlagen und genau einen Ölkanal erwischt! Schöner Mist, aber uns bleiben keine anderen Optionen als eine Operation am offenen Herzen. So nehmen wir den Motordeckel auseinander und dichten die Stelle großzügig ab. Die Ironie an der Geschichte: die Dichtmasse bekommen wir vom Unfall-LKW-Fahrer! Ohne seinen Unfall wären wir nicht ins Flussbett gefahren und die Kette wäre nicht vom Ritzel gesprungen und hätte das Gehäuse beschädigt!


Reparatur des gesprungenen Motorgehäuses am Wegesrand

Glücklicherweise bleibt die Teneré dicht bis zum Ende der Reise. Wir können unseren Trip erstmal fortsetzen, unser Ziel ist Tomtor, das Tor zur Road of Bones, der alten Sommerstraße.


Fahrt durch tolle Landschaften



Bekannte Tankstelle am Abzweig zur Road of Bones

Doch wir sollten Tomtor an diesem Tag nicht mehr erreichen. Gleich der erste Fluss ohne Brücke macht uns einen Strich durch die Rechnung. Durch anhaltende Unwetter an den vorhergehenden Tagen sind die Gewässer über die Maße angeschwollen und ein durchkommen für uns wird unmöglich. Vierrädrige Fahrzeuge schleppen sich mit Seilen gegenseitig durch den Fluss. Chris, der größte von uns und damit unser Flussvorausgeher, hat Probleme der Strömung standzuhalten. Somit ergeben sich nur zwei Optionen: entweder auf einen LKW warten der unsere Mopeds laden kann oder warten bis sich das Wasserniveau senkt. Das Warten wird unser Freund der nächsten Tage.

Erster Halt: hochwasserführender Fluss
Testquerung

Nikolaj, 77 Jahre, einarmig, wohnt auf der anderen Flussseite und lädt uns zu sich ein (es gibt noch eine kleine Fußgängerhängebrücke) um zu übernachten. Wir müssen dankend ablehnen als wir das Etablissment sichten. Dafür kann ich keine passenden Worte finden. Wir ziehen das Zelt vor.


ständige Wegbegleiter in Massen: Mücken

Am Mittag des nächstes Tages klappte die Test-Flussdurchquerung und mit einer ungeheuerlichen Kraftanstrengung schieben wir alle drei Bikes durch das Gewässer. Unsere Schuhe werden bis zur Abreise aus Russland nicht mehr trocken.


erfolgreiche Flussquerung, Nikolaj auf der anderen Seite

Tolle Landschaft Richtung Tomtor



Als wir Tomtor erreichen, erreichen wir auch unsere letzte Basisstation an der wir Vorräte und Benzin auffüllen können bevor es in die Wildnis geht. Tomtor ist ein größeres Dorf und stellt den Kältepol unserer Erde dar! Im Winter wird es bis zu MINUS 70°C kalt (gemessen -71,2°C). Ich denke, dass diese Temperatur bestimmt jeder gerne mal erleben will - aber hier wohnen?! Da muss man schon aus besonderem Holz geschnitzt sein. Wir kaufen ein und tanken auf und fahren 20 km aus dem Dorf wo wir campen. Ab jetzt beginnt der alte Kolima Highway, oder alte Sommerstraße oder Road of Bones!!

Denkmal zum Kälterekord. Die Geschichte sagt, dass Tomtor ein digitales Thermometer mit Datenaufzeichnung geschenkt wurde. Es hat den nächsten Tag nicht überlebt.

Anfang der Road of Bones.

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