Wir verlassen Sewerobaikalsk beizeiten. Zunächste geht es noch eine ganze Weile am Baikalsee entlang bevor es das erste Mal mit über 70 Sachen über eine breite Sandpiste geht. Wir fahren stundenlang im Stehen, die Motorräder tänzeln unter uns.
Alexej hat einen Plattfuss an seiner Suzuki, als Chris nach einer Weile merkt, dass keiner mehr folgt dreht er um und zwanzig Meter vor Alexejs Bike bleibt er ebenfalls mit einem Platten liegen - Nagel! Und nicht der letzte Platten...
Beim Schlauchwechsel |
Wir fahren die West-BAM. Die Baikal-Amur-Magistrale ist eine Bahnstrecke, welche das Gebiet Ost-Sibieren bzw. Ferner Osten erschliessen sollte. Die Bauzeit bis zur Inbetriebnahme 1984 betrug 10 Jahre. Wir fahren mehr oder weniger die alten Versorgungsstrecken, welche wie Chris so schön ausdrückte u.a. "the pinnacle of motorcycling adventure" (die Spitze des Abenteuermotorradfahrens) ist. Wer mehr über die BAM erfahren möchte klickt hier.
Die nächsten Tage sind wir eigentlich offline, das heißt keine Kommunikation zur Aussenwelt mehr möglich und nur noch Wald, Wald, Wald und Bahnstrecke, Bahnstrecke...
Die Strecke verlangt uns einiges ab. Schlammlöcher Oberschenkel-tief, Wege wie Mondlandschaft - man hüpft von Krater zu Krater, tiefe Sandwege, Pfützen die kleinen Teichen gleichen, Flussdurchquerungen...
Breite Sandtrassen |
Schlammpassagen |
Teichpfützen... |
Teichpfützen II |
Teichpfützen III |
Teichpfützen IV |
Da die alten Versorgungswege nicht mehr erhalten werden, verrottet so ziemlich jede Brücke. Nach zig überquerten Problembrücken sollte mich eine eher unscheinbare Brücke zu Fall bringen: ich überquere die ca. 10 Meter lange brücke und bemerke, dass mittig in meiner Spur zwei Querplanken fehlen, um nicht in das Loch zu fahren und kopfüber abzusteigen muss ich Gas geben. Soweit okay, doch was ich nicht sehe ist, dass nach den Planken/ am Ende der Brücke ein riesiges Loch klafft mit einem fiesen Stein als Abschluss. Mit voller Fahrt krache ich in das Loch, es gibt eine mächtigen Knall als mein Vorderrad mit dem Stein kollidiert und dann hebt es mich ca. ein Meter in die Luft bevor ich seitlich abdrifte und im Gebüsch lande. CRASH! Mir ist nichts weiter passiert, aber Qdus Front hat gelitten. Die Felge hat einen fiesen Schlag erlitten und fortan hat das Rad eine acht und der Lenker vibriert beim Fahren. Mist! Aber außer Speichen prüfen und sporadisch nachziehen können wir nichts machen.
Brückenquerung X von ca. 200 |
Brückenquerung X+1 von ca. 200 |
Fehlende Planke |
Fetter Felgenschlag |
Flüsse können tückisch sein. Von außen scheinbar sanft dahinfließend entwickeln sie doch mächtig zug wenn man in ihnen steht bzw. sie durchfährt. Die erste große Flussquerung sollte zu Steffs und meinem Verhängnis werden. Als ich reinfahre komme ich gut durch bis zur Hälfte, bleibe dann aber mit dem Vorderrad an einem großen Stein hängen, meine Füße sind rechtzeitig unten, die Steine aber so glitschig das ich keinen Halt finde und schwups liege ich samt Qdu in der Gruppe. Schnell Motor ausmachen und dann kommt mir jemand zu Hilfe. Wir haben beide nasse Schuhe, welche die nächsten 5 Tage nicht mehr trocken werden sollten. Steff rutscht sogar zweimal weg und landet im kühlen Nass.
Kurz vor Chara, was ca. mittig auf unserem BAM-Abschnitt liegt holt sich Steff einen Plattfuß. Da es nur 500 Meter bis zur nächsten Werkstatt sind entscheiden wir direkt da hinzufahren. Die Werkstatt kann man sich als schwarzes Garagenloch vorstellen in dem ein junger Kerl schraubt und 4 Typen schlau daher reden. Ich zeige dem Typen mein Vorderrad. Okay ausbauen. Gemacht. Er fängt an mit einem schweren Hammer draufzuschlagen, ich schaue ihn kritisch an - zu spät! Es kreischt kurz und die Felge reißt zwischen zwei Speichen! Verdammte Schei...! entfährt es mir. Es ist einen kurzen Moment ruhig und alle schauen sich gegenseitig an. Dann wildes Gerede der Anwesenden und mir ist leicht übel. Bedeutet das mein Ende der Fahrt! Aber wir wären nicht in Russland wenn es nicht zumindest noch eine Option gäbe! Es wird telefoniert, 10 Minuten später kommt ein klappriger Schiguli (Lada) vorgefahren, ein Mann in den 50ern im abgetragenen Arbeitsdress steigt aus. Ein kurzes Gespräch mit dem Mechaniker und die Info an mich, dass es zwei Stunden dauern wird. Alles klar, was soll ich sonst machen.
Während der zwei Stunden reparieren wir Steffs Bike und die anderen gehen schon ins Gästehaus.
Nach knapp zwei Stunden fährt der Schiguli wieder vor. Das Vorderrad sieht bis auf die Schweißnaht zwischen den Speichen wieder ziemlich gut aus. Drin wurde kräftig geschliffen. Alles gut, ich kann zumindest erstmal weiterfahren. Rock'n'Roll. Von dem schiefen Eindrehen der Vorderachse inklusive Gewindebeschädigung oder dem falschen Aufziehen der Reifen schreibe ich jetzt nichts weiter...
Am nächsten Tag hangeln wir uns weiter durch kleine Wege, Teichpfützen, Rumpelstrecken, Bahntrassen, Flüsse. Es sollte mich nochmal treffen. In einem unscheinbaren Flüsschen bin ich wieder auf der falschen Spur unterwegs, während Chris vor mir auf der linken Spur locker durch den Fluss rauscht fehlt in meiner Spur - unsichtbar für mich - ein Stein und ich knalle wieder in den Fluss. Halleluja. Am anderen Ufer checke ich mein Vorderrad und wieder ein Schlag, so ziemlich an der gleichen Stelle. Ist soviel Pech zu fassen?!!? Seit diesem Vorfall habe ich ein leichtes Flusstrauma und beobachte immer erst die anderen bevor ich kreuze. Bei jedem Stopp das Vorderrad inklusive Speichen zu checken gehört jetzt zu meinen Pausenarbeiten.
Nächster Schlag, ziemlich gleiche Stelle |
Ein Highlight ist die Vitimbrücke. Sie ist einen Kilometer lang und steht 15 bis 20 Meter über dem Wasser. Interessant wird es durch die fehlenden Geländer. Im Grunde sind es nur lose aneinander gereihte Holzplanken welche am verrotten sind. In der Mitte ist ein Schlauch verlegt, dadurch hat man nur noch die Hälfte der Breite...seht selbst: hier das Video von Chris bei der Überquerung: Video
Vitimbrücke |
Blick von der Vitim |
Abgesehen von den kleinen Missmanövern haben wir viel Spaß und Adrenalin im Blut. Die Fahrt ist herausfordernd, aber herrliche Landschaften bezaubern immer wieder unsere Augen. Mit 1340 Meter passieren wir auch den höchsten Punkt der Strecke. Ein herrlicher Ausblick verwöhnt für die Strapazen. Wir sollen zwei Rentieren und Bären sehen.
Grandiose Landschaft |
Qdu am Strand |
Die Fahrtage sind oft lang und zelten ist in diesem abgelegenem Gebiet obligatorisch. Meist direkt neben dem Gleis, und wenn die schweren Züge (mit bis zu vier vorgespannten Dieselloks) vorbeirauschen wackelt das Zelt und der Boden und man hat das Gefühl direkt im Gleis zu liegen. Faszinierend.
Ohne Moskitoschutz geht nichts |
Nach ca. 1250 Kilometern erreichen wir Tynda - unser BAM Ziel. Und nachdem wir auf den letzen 200 Kilometern viel Staub geschluckt haben freuen wir uns auf ein schönes Hotel. Es gibt laut Google genau 3 Hotels. Ein schönes, zwei eher mäßige (und das heißt echt schäbig!). Alle drei sollten ausgebucht sein. Aber der Hotelgott sollte wohl doch noch ein Erbarmen haben und schickt uns einen jungen glasäugigen Russen, der zunächst mehr Interesse an den Bikes hat. Im Gespräch zeigt er mir in Google noch eine "Gostiniza" (Gästehaus), welches nicht in demselbigen vermerkt ist. Und sie gibt es wirklich - aber ausgebucht. Das humpelnde Väterchen hat aber Erbarmen und räumt seine Garage - und wir unser Garagenhotel! Der Garten wird von unserem ganzen Equipment in Beschlag genommen, dass muss noch trocknen.
Tynda erreicht! |
Abends wird es spät, aber die geschaffte BAM muss gefeiert werden! Jiieejaaaa!
Die nächsten zwei Tage werden lang und eintönig. Wir müssen straff nördlich nach Jakutsk. Hügellige bewaldete Landschaft prägt das Bild. Breite Schottertrassen oder Asphaltabschnitte bestimmen den Tag. Steffs Gabel leckt aus beiden Holmen, so dass wir einen längeren Zwischenstop zum Reparieren einlegen müssen. Abends wird es empfindlich kalt mit 5° Celsius. Es dunkelt bereits und wir wollen nicht mehr campen. An einem Café am Weg hat die Besitzerin anscheinend Mitleid mit uns und wir können auf dem staubigen Dachboden schlafen. Nach Hotel Garage, nun Hotel Dachboden. Wir sind froh.
Breite Sandtrasse durch nicht endenden Wald |
Am nächsten Tag noch 700 Kilometer abspulen und wir sind in Jakutsk. Beeindruckend war die Überquerung der Lena in der wir anderthalb Woche zuvor noch gebadet haben. Sie ist bei Jakutsk so breit wie der Bodensee und durchsetzt von kleinen Inseln. Auf betagten Kuttern setzen wir in 50 Minuten für gerade mal 2 Euro über.
Überfahrt der Lena |
Einen Tag frei bei dem wir unsere Vorräte aufstocken und die Bikes reparieren bzw. pflegen müssen, damit sie fit für den zweiten Teil der Reise sind. Steff hat mit seiner KTM einen langen Tag. Ich sehe genau das Vorderrad, welches in Qdu passt bei einem (dem einzigen Motorradhändler hier) Yamahahändler, der möchte es aber nicht hergeben (da es in einem neuen Bike verbaut ist). Das Angebot es nochmal richten zu lassen lehne ich dankend ab. Qdu wird es so schaffen (müssen), das Risiko noch mehr kaputt zu machen ist mir zu groß.
PS: Wusstet ihr schon das ganz viele Russen mit laufendem Motor ihre Fahrzeuge auftanken? Warum erschließt sich mir auch nicht.
Oder, dass man bei russischen Tankstellen immer im Voraus zahlen muss? Das ist ziemlich anstrengend, da man ja die ungefähre Literzahl wissen muss...
Oder, dass in Jakutsk aufgrund des Permafrosts die Häuser auf Stelzen gebaut sind?
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